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Wittenburg

Zur jüdischen Geschichte von Wittenburg


Für die Stadt Wittenburg ist derzeit nur eine jüdische Einwohnerschaft aus der Zeit nach der jüdischen Wiederbesiedlung Mecklenburgs bekannt. Die jüdische Ansiedlung begann hier im Jahr 1760. Laut der den Zeitraum von 1749 bis 1760 abdeckenden landesweiten Steuerliste vom 1. Oktober 1760 erhielten am 1. März 1760 drei Schutzjuden ein Privileg für Wittenburg: Mündel Joseph, Isaack Jacobs und Levien Abraham. Sie dürften damit die ersten jüdischen Einwohner von Wittenburg gewesen sein, zumindest nach offizieller Duldung. Alle hatten jährlich die üblichen zwölf Reichstaler Schutzgeld zu zahlen. Zwei dieser Schutzjuden sind später dann auch in der vom Rostocker Orientalisten Gerhard Oluf Tychsen überlieferten Teilnehmerliste des Judenlandtages in Crivitz im Jahr 1767 zu finden: Isaack Jacobs als Itzig oder Isaac Jacob, der mit einer Rösel aus Daber verheiratet war, deren Vater Vater Leib Daber aus Stargard stammte, und Levien Abraham als Aberle oder Levin Abraham. Isaac Jacob ging 1770 in den Konkurs. Was aus dem dritten Schutzjuden Mündel Joseph wurde, ist unbekannt. Noch im 18. Jahrhundert müssen dann einige wenige Schutzjuden hinzugekommen sein, so erhielt 1790 ein Wulff Israel einen Schutzbrief für Wittenburg. Für das Jahr 1794 ist auch ein Schulmeister namens Salomon Wulff überliefert.

Bei der Annahme der erblichen Familiennamen auf der Grundlage des Emanzipationsedikts im Jahr 1813 wurden dann am 21. April 1813 über Wittenburg insgesamt sechs unterschiedliche Familiennamen nach Schwerin gemeldet: Adler, Berend, Heller, Liefmann, Löwenstein und Rosenthal. Diese Annahme von erblichen Familiennamen war eine Forderung des Emanzipationsedikts vom 22. Febuar 1813 gewesen, das den Mecklenburger Juden endlich nahezu gleiche Rechte wie der christlichen Bevölkerung zusicherte, die ihnen aber schon 1817 wieder aberkannt wurden.

Wie das Generalverzeichnis der in den Städten des Großherzogtums Mecklenburg Schwerin privilegierten Schutzjuden aus dem Jahr 1825 belegt, müssen einige wenige Schutzjuden abgewandert und andere wieder hinzugezogen sein, jedoch so, dass die Gesamtanzahl von sechs Scnhutzjuden bis in dieses Jahr konstant blieb. Die jetzigen sechs Inhaber eines Privilegs waren Meyer Abraham Adler, Abraham Salomon Löwenstein, Abraham Marcus Behrend, Gerson Abraham Adler, Isaac Liefmann und die Witwe des Salomon Liebrecht.

Die Wittenburger Judenschaft verfügte anscheinend schon recht früh über eine eigene Gemeindeordnung. Ob es sich bei den zeitlich ersten überlieferten Statuten vom 27. Juli 1842 um eine landesherrlich verordnete oder, wie das in einigen anderen Gemeinden der Fall gewesen war, ob es eine selbst erstellte Gemeindeordnung handelte, ist unklar. Am 6. August 1868 wurde die jüdische Gemeinde Wittenburg jedenfalls vom Großherzoglichen Ministerium aufgefordert, erneut ihre, allerdings angeblich am 1. Juli 1847 vom Großherzog genehmigte, Gemeindeordnung einzureichen, da diese durch den Brand des Collegiengebäudes vernichtet worden war. Möglicherweise könnte es sich bei Letzterer damit um eine weitere, landesherrlich verordnete Gemeindeordnung gehandelt haben.

Im Rahmen der Deutschen Revolution erhielten auch die Wittenburger Juden am 5. Februar 1849 ihre offizielle Wahlfähigkeit in Wittenburg. Einen eigenen jüdischen Begräbnisplatz erhielten sie hingegen erst 1850. Davor bestatteten sie ihre Toten auf dem jüdischen Friedhof in Hagenow. Es scheint auch eine Synagoge in Wittenburg gegeben zu haben, die erst nach 1856 errichtet worden sein kann.

Die Religionslehrer

Nur wenige ehemalige Religionslehrer sind aus Wittenburg überliefert. Mindestens 1853 und 1856 hatte ein Abraham Dublin aus Rawitsch das Amt inne, für 1850 ein Abraham Seeligsohn aus Schweidnitz. Letzterer heiratete 1853 die Tochter des späteren Religionslehrers David Lion in Wittenburg.

Die Gemeindevorsteher

Ähnlich lückenhaft ist die Kenntnis von den Gemeindevorständen in Wittenburg. Ein Schreiben von der jüdischen Gemeinde, gefertigt am 22. Oktober 1850 an das Großherzogliche Ministerium, war von den beiden Vorstehern Jacobson und Lazarus verfasst worden. Für 1894 ist belegt, dass in diesem Jahr Albert Lazarus und Emil Frank verstarben, die als ehemalige Vorsteher bezeichnet wurden. Das Amt des Gemeindevorstehers übernahm danach Rudolf Lazarus.

Die Wittenburger Judenschaft zählte zu den kleinen jüdischen Gemeinden im Lande. 1810 verfügte sie über etwa 25 Gemeindemitglieder, erreichte ihren Höchststand um 1853 mit unter 45 und hatte um 1900 nur noch unter zehn Mitgliedern. Spätestens ab 1913 muss das Ministerium für geistliche Angelegenheiten die Auflösung angestrebt haben. Der Vorstand der jüdische Gemeinde Wittenburg schrieb am 30. Mai 1913 an das Großherzogliche Ministerium für geistliche Angelegenheiten, dass es in Wittenburg nur noch drei Hausstände gäbe, jedoch keine schulpflichtigen Kinder. Die Gemeinde habe keine Schulden, der Friedhof sei schuldenfrei, jedoch habe die Gemeinde weder Kapital noch Einnahmen aus Stiftungen und Erbschaften. Auch sei keine Synagoge vorhanden und es würden seit langem keine Gottesdienste mehr abgehalten. Am 19. Dezember 1914 antwortet auch der Magistrat von Wittenburg dem Ministerium: Seit Jahren existiere keine Gemeinde mehr. Das letzte Protokoll aus dem Protokollbuch stamme vom 19. November 1886 unter der Leitung des Patrons, dem Bürgermeister Zegelin. Das einzige männliche Mitglied sei zur Zeit Max Lazarus und mit ihm wurde am 23. November 1914 auch eine entsprechende Verhandlung zur Auflösung aufgenommen. Außer dem jüdischen Friedhof habe die Gemeinde keinen weiteren Besitz. Am 12. Mai 1916 verfügt der Herzog die Auflösung der Gemeinde und den Anschluss des verbliebenen Mitgliedes Henny Lazarus an die Gemeinde in Schwerin. Die Geburts- und Sterbeliste, Akten und Stempel wurden danach dem Geheimen Hauptarchiv in Schwerin übergeben.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten lebte nur noch eine jüdische Familie, bestehend aus Max Lazarus, seiner Schwester Martha und der Mutter Henny, in Wittenburg. Zur „Reichskristallnacht“ am 10. November 1938 wurde Max Lazarus wie viele andere männliche Juden aus Mecklenburg in sogenannte „Schutzhaft“ genommen und in das Gefängnis nach Alt-Strelitz gebracht. Nach seiner Entlassung floh er in die vermeintliche Anonymität Hamburgs, wurde von dort jedoch später nach Minsk deportiert und ermordet. Wittenburg meldete im Februar 1942 „judenfrei“. Insgesamt mindestes vier ehemalige Wittenburger wurden Holocaust-Opfer. Für die vier bekannten Opfer wurden bereits Stolpersteine in der Stadt verlegt.

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(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 13.05.2017)
Quellen:

  • Brocke, Michael / Ruthenberg, Eckehart / Schulenburg, Kai Uwe: Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), Institut Kirche und Judentum, Berlin 1994
  • Donath, Leopold: Geschichte der Juden in Mecklenburg von den ältesten Zeiten (1266) bis auf die Gegenwart (1874), Verlag Oskar Leiner, Leipzig 1874
  • Francke, Norbert / Krieger, Bärbel: Die Familiennamen der Juden in Mecklenburg: Mehr als 2000 jüdische Familien aus 53 Orten der Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz im 18. und 19. Jahrhundert. Schriften des Vereins für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e. V., Verein für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e.V., Schwerin 2001
  • Kasten, Bernd: Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938-1945, Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern, Thomas Helms Verlag, Schwerin 2008
  • Landeshauptarchiv Schwerin: Rep. 2.12-4/5, Nr. 241, 632, 665 (Judenangelegenheiten); Rep. 5.12-7/1, Nr. 9048, 9098; Rep. 5.12-7/12, Nr. 69 (Regierungsrat im Israelitischen Oberrat); Rep. 10.72-2, Nr. 23 (Landesrabbinat)

Jüdische Bevölkerungsentwicklung in Wittenburg


Jüdische Bevölkerungsentwicklung in Wittenburg

Familien mit Bezug zu Wittenburg


Adler, Ascher, Behrens, Berend/Behrend, Cohn, Dublin, Goldschmidt, Heller, Hertz, Isaac, Israel, Jacobsen, Jacobson, Jacoby, Julius, Koppel, Langhammer, Lazarus, Liebrecht, Liefmann, Liepmann, Lion, Löwenstein, Mangold, Mendel, Meyer, Müller, Naphtali, Popert, Rosenthal, Ruben, Rubensohn, Salomon, Seeligmann, Seeligsohn, Soldin, Stavenhagen, Waldorff, Wolff, Wolffsohn/Wulffsohn, Wulff

Bekannte Holocaust-Opfer (4)


  • Max Lazarus
  • Martha Lazarus
  • Anna Stiel geb. Jacobson
  • Philipp Stiel

Stolpersteine: 4


  • Große Straße 54
    • Max Lazarus
    • Martha Lazarus
  • Große Straße 67
    • Anna Stiel geb. Jacobson
    • Philipp Stiel

Veröffentlichungen zu den Juden von Wittenburg


Publikationen


  • Adreßbücher über und für den Gewerbe- und Handelsstand der Großherzogthümer Mecklenburg-Schwerin und Strelitz
  • Mercantilisches Addreßbuch der Großherzogthümer Meckl.-Schwerin u. -Strelitz, worin: die Addressen der Magistratspersonen der Städte, der weltlich obrigkeitlichen Beamten der Flecken, der Accise- und Postbeamten, fremden Consuls, Advocaten, Apotheker, Kaufleute, Fabrikanten, Manufacteurs, Buchhändler, Gasthofinhaber und anderer dazu qualificirende Handels- oder industrielle Geschäfte treibende Leute in den Großherzopthümern, wie auch: bei jedem entsprechenden Orte Angabe seiner Wolkszahl, Meilenzeiger, Notizen über Schiffs-, Fuhrgelegenheiten etc.
  • Buddrus, Michael / Fritzlar, Sigrid: Die Städte Mecklenburgs im Dritten Reich: ein Handbuch zur Stadtentwicklung im Nationalsozialismus, ergänzt durch ein biographisches Lexikon der Bürgermeister, Stadträte und Ratsherren
  • Kasten, Bernd: Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938-1945
  • Helbig, Annekathrin: Konversion, Kindheit und Jugend - Taufen jüdischer Kinder im 18. Jahrhundert
    In: Verein für kritische Geschichtsschreibung e. V. (Hrsg.): WerkstattGeschichte, Heft 63 (2013), Klartext Verlag, S. 45-60

Dokumente mit Bezug zu den Juden von Wittenburg


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Beschreibung Zeitpunkt/Zeitraum Typ
Auszug aller privilegirten Juden und was selbige Laut der, mittelst Herzoglich Verordnung vom 20. Septbr. 1760 Communicirten Specification An Schutz-Geld Zur Herzoglich. Renterey von Anno 1749 bis zum Termino Trinitatis 1760 bezahlet haben, und darauf nach infinuation gedachter Specification, nemlich den 1ten Octobr. 1760 Restiren. 1749-1760 Transkript
General-Verzeichniß der in den Städten des Großherzogthums Mecklenburg Schwerin privilegirten sämmtlichen Schutz-Juden 3. Januar 1825 Transkript