Mirow

Zur jüdischen Geschichte von Mirow


Für die Stadt Mirow gibt es derzeit keinerlei Hinweise auf eine jüdische Bevölkerung während der Phase der jüdischen Erstbesiedlung Mecklenburgs. Wann sich die ersten Juden in Mirow nach der jüdischen Wiederbesiedlung Mecklenburgs niederließen, liegt ebenfalls im Dunkeln und kann nur auf einen groben Zeitraum eingegrenzt werden. Nachdem im Jahre 1712 das Residenzschloss in Strelitz ausgebrannt war und damit im Anschluss ein wirtschaftlicher Niedergang der Stadt einsetzte, erlaubt der Landesherr die Ansiedlung jüdischer Familien in Strelitz und erweiterte diese Erlaubnis auch auf Fürstenberg und Mirow. In den folgenden Jahrzehnten müssen sich dann erste Schutzjuden auch in Mirow niedergelassen haben.

Der erste handfeste Nachweis jüdischer Einwohner in Mirow liegt dann aber erst aus dem Jahr 1790 vor. Anlass war eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Schutzjuden und dem namentlich nicht genannten Schullehrer, die zur Entlassung des Letzteren geführt hatte. Das Misstrauen der ansässigen Juden gegen den Lehrer ging sogar so weit, dass am 12. Juli 1790 ein Moses Baruch im Namen der anderen Schutzjuden Jacob Abraham und Jacob Levin einen Antrag beim Landesherrn stellte, damit dieser beschliessen möge, den entlassenen Schullehrer bei Wiedererscheinen fortschaffen zu lassen.

Nur ein Jahr später bat die hiesige Judenschaft um einen Begräbnisplatz, den sie auf dem Mirodowschen Felde erhielt. Am 29. Mai 1795 beschlossen die Gemeindemitglieder den Bau einer eigenen Schule und erließen eine Schulordnung, in der die Aufgaben und Pflichten des Religionslehrers festgelegt waren. Einen Hinweis darauf, wo diese dann erbaut wurde, enthielt der Beschluss zwar nicht, jedoch gehen daraus die damals in Mirow ansässigen Schutzjuden hervor: Jacob Levin, Isaac Abraham, Meyer Jacob, Abraham Jacob, Salomon Jacob, Moses Baruch, Philipp Baruch, Joseph Meier, Joseph Jacob und Jacob Isaac.

Schon 1799 erließ die Mirower Judenschaft zur Regelung ihrer internen Angelegenheiten eigene Statuten. Die Umsetzung und Einhaltung der am 20. August 1799 erlassenen Statuten garantierten Isaac Abraham, Jacob Levin, Jacob Abraham, Meyer Jacob, Moses Baruch und Philipp Salomon Levy mit ihrem Vermögen. Im gleichen Jahr erbaute sich die jüdische Gemeinde nach Beschluss der zuvor erwähnten Gemeindemitglieder eine eigene Synagoge. Erst in diesem Beschluss scheint auch der erste offizielle Gemeindevorsteher Mirows gewählt worden zu sein. Somit war ab dem 19. Juni 1799 Philip Salomon Levy Vorsteher der jüdischen Gemeinde von Mirow. Wie lange er es blieb, ist unbekannt.

Am 15. April 1801 beantragte die Gemeinde, daß der Schutzjude Lazarus Israel ihr Schulmeister werden sollte, wofür die landesherrliche Genehmigung erteilt wurde. Wie lange er der Mirower Religionslehrer blieb, ist nicht bekannt. Er muss jedoch spätestens 1811 durch den aus Rawicz in Posen stammenden Schulmeister Levin Marcus ersetzt worden sein.

Als am 22. Februar 1813 im Herzogtum Mecklenburg-Schwerin das Emanzipationsedikt erlassen worden war, war damit gleichzeitig auch die landesherrliche Forderung nach Annahme erblicher Familiennamen bei den Juden verbunden gewesen, dem die ansässigen Juden gern nachkamen. Das Herzogtum Mecklenburg-Strelitz, dem auch Mirow angehörte, übernahm die Regelungen des Emanzipationsedikts und damit auch die Forderung nach erblichen Familiennamen bei den Juden. Die Vorschrift zur Namensannahme in Mecklenburg-Strelitz wurde auf Vorschlag vom 16. Mai 1814 am 1. Juni 1814 erlassen. Wie die meisten anderen Städte des Herzogtums Mecklenburg-Strelitz veröffentlichte auch Mirow die Namensliste der jüdischen Gemeinde am 31. August 1814 in den Strelitzischen Anzeigen. Danach wurden hier insgesamt acht Annahmen von Familiennamen gemeldet, wovon sechs unterschiedliche Namen waren: Burgheim, Hertzfeld, Levin, Philipp, Philippson und Rosenberg.

Aus der wohl bedeutendsten Zeit der Mirower Gemeinde bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sind nur wenige Quellen überliefert. Soweit diese noch vorhanden sind betreffend diese vor allem die häufig wechselnden Religionslehrer oder den Vorstand der Gemeinde. So trug die Judenschaft am 21. Dezember 1819 einen Antrag bei der Aufsichtsbehörde vor, wonach sie die Bewerbung des Lazarus Herzfeld, der bis dato drei Jahre in Rossow als Schächter und Lehrer tätig gewesen war und nun zurück nach Mirow wollte, ablehnen wollte. Bei ihm dürfte es sich bei dem schon zuvor erwähnten Schutzjuden Lazarus Israel gehandelt haben, in den die Mirower Gemeinde damals offensichtlich das Vertrauen verloren hatte. Ihren Angaben zufolge war man froh gewesen, als er ging. Der Widerstand der Gemeinde gegen ihn zog sich noch bis 1821 hin. Nach nochmaligem Veto der Gemeinde vom 12. Februar 1821 sprach sich die Aufsichtsbehörde jedoch am 24. Februar 1821 für Lazarus Herzfeld aus und er wurde gegen den Willen der Gemeinde der neue Lehrer und Schächter in Mirow.

Im Jahr 1824 wurde Isaac Rosenthal als Gemeindevorsteher gewählt und erhielt 1825 nochmals das Vertrauen der Gemeinde. Neben dem Vorstand gab es in dieser Zeit auch einen gerichtlich bestellten Aufseher, ohne dass der eigentliche Zweck dieser Funktion überliefert wäre. Das Amt hatte der Schutzjude Salomon Levin, das nach seinem Tod 1825 erst 1826 mit Meyer Levin wiederbesetzt wurde. Auf einer am 30. Januar 1826 durchgeführten Versammlung der Gemeinde wurden die Statuten überdacht und dann bestätigt. Aus dem Protokoll gehen die damals in Mirow ansässigen Schutzjuden hervor: Isaac Rosenthal, Philipp Philippson, Meyer Levin, Moses Rosenberg, Lazarus Herzfeld, Louis Levin, Baruch Burgheim, Salomon Philippson, Mann Heine, Simon Levin und Hirsch Herzfeld. Dass dies nicht alle Gemeindemitglieder waren, geht aus einer vom 20. Juli 1827 stammenden Zahlungsaufforderung hervor, wonach die Mirower Gemeinde ihrem Beitrag zum Landesrabbinat noch nicht nachgekommen war, weil die Gemeindemitglieder J. Jacoby, E. Rubenson, J. Hirschberg, J. M. Marcus und M. J. Barsdorff aus unbekannten Gründen die Zahlung verweigerten.

Spätestens ab Mitte des 19. Jahrhunderts, als sich auch in Feldberg Schutzjuden niedergelassen hatten, gehörte zur Mirower Gemeinde auch organisatorisch die jüdische Gemeinde von Feldberg. Am 23. Oktober 1854 bescheinigte Meyer Herzfeld, dass auf der stattgefundenen Versammlung B. Burgheim und S. Herzfeld das Amt des Vorstands übertragen wurde. Am 16. Oktober 1856 wurden S. Levin und Salomon Herzfeld für drei Jahre als Vorsteher gewählt. Am 11. Oktober 1859 bittet Salomon Herzfeld darum, Jacoby Heine als 2. Vorsteher zu bestätigen. Am 19. Oktober 1859 werden Jacoby Heine und Gustav Burgheim als Vorsteher gewählt. 1860 erbaute sich die Gemeinde eine neue Synagoge. Am 19. September 1862 wurden A. S. Philippson und Jacoby Heine in den Vorstand gewählt, am 1. Oktober 1865 übernahmen für drei Jahre Selig Philippson und Jacoby Heine diese Funktion. Für 1892 ist als Vorsteher Salomon Herzfeld belegt, Kantor und Religionslehrer war Abraham Philipps.

Die jüdische Gemeinde Mirow war im Vergleich zu anderen Mecklenburger Orten eher klein. Um 1800 verfügte die Mirower Gemeinde über nur etwa 30 Mitglieder. Ihren zahlenmäßigen Höhepunkt erreichte sie um 1850 mit knapp 90 Mitgliedern. Die Anzahl jüdischer Einwohner fiel danach aber aufgrund der für Mecklenburg in dieser Zeit typischen Abwanderung und Emigration kontinuierlich ab, so dass zur Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 nur noch fünf jüdische Einwohner in Mirow lebten.

Die verbliebenen jüdischen Einwohner Mirows gehörten zu den Familien Rosenberg und Moses. Die Rosenbergs betrieben ein Textilgeschäft und galten als großzügig und insbesondere gegenüber ärmeren Einwohnern als hilfsbereit. Familie Moses verdienten ihren Lebensunterhalt mit einem Hutgeschäft. Ob und in welcher Weise diese Familien nach der Machtergreifung bedrängt wurden, ist nur bruchstückhaft bekannt. Zur „Reichskristallnacht“ am 9./10. November 1938 sollen auch in Mirow einer oder mehrere männliche Juden in „Schutzhaft“ genommen und in das Gefängnis nach Alt-Strelitz gebracht worden sein. Wen dies betraf, ist jedoch unklar. Zumindest das Geschäft der Rosenbergs wurde durch SA-Männer verwüstet. Der Inhaber soll durch diese als Strohpuppe aufgehangen worden sein. Die Briefträgerin Anna König soll den Mob an weiterer Zerstörung gehindert haben. Der jüdische Friedhof wurde jedenfalls zur „Reichskristallnacht“ geschändet und zerstört. Die noch verbliebenen jüdischen Einwohnern flohen danach aus der Stadt, einigen gelang die Emigration. Ab dem 28. Oktober 1938 galt Mirow schließlich nach dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch als „judenfrei“.

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(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 04.10.2016)
Quellen:

  • http://www.eastgermanysynagogues.com/index.php/communities/135-mirow-mecklenburg-western-pomerania-german
  • Arlt, Klaus / Beyer, Constantin / Ehlers, Ingrid / Etzold, Alfred / Fahning, Kerstin Antje: Zeugnisse jüdischer Kultur. Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, Wichern-Verlag, Berlin 1992
  • Borchert, Jürgen / Klose, Detlef: Was blieb... Jüdische Spuren in Mecklenburg, Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 1994
  • Brocke, Michael / Ruthenberg, Eckehart / Schulenburg, Kai Uwe: Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), Institut Kirche und Judentum, Berlin 1994
  • Francke, Norbert / Krieger, Bärbel: Die Familiennamen der Juden in Mecklenburg: Mehr als 2000 jüdische Familien aus 53 Orten der Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz im 18. und 19. Jahrhundert. Schriften des Vereins für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e. V., Verein für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e.V., Schwerin 2001
  • Hofmann, Peter: Jüdisches Leben in Mecklenburg-Strelitz, Steffen Verlag, Friedland/Mecklenburg 2007
  • Kasten, Bernd: Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938-1945, Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern, Thomas Helms Verlag, Schwerin 2008
  • Landeshauptarchiv Schwerin: Rep. 4.11-17/3, Nr. 919, 920, 921, 922, 923 (Dominialamt Mirow)

Jüdische Bevölkerungsentwicklung in Mirow


Jüdische Bevölkerungsentwicklung in Mirow

Familien mit Bezug zu Mirow


Abraham, Barsdorff, Burgheim, Heine, Herzfeld/Hertzfeld, Hirschberg, Jacobson, Jacoby, Joseph, Levin/Lewin, Marcus, Mendel, Moses, Philipp, Philippson, Rosenberg, Rosenthal, Rubenson, Samuel, Sprintz, Wasmundt, Weil

Bekannte Holocaust-Opfer (3)


  • Gerhard Moses
  • Olga Moses geb. Heymann
  • Margarete Philippson

Stolpersteine: 3


  • Schloßstraße 16
    • Ruth Rosenberg
    • Hertha Rosenberg geb. Bruck
    • Herbert Rosenberg

Veröffentlichungen zu den Juden von Mirow


Publikationen


  • Adreßbücher über und für den Gewerbe- und Handelsstand der Großherzogthümer Mecklenburg-Schwerin und Strelitz
  • Mercantilisches Addreßbuch der Großherzogthümer Meckl.-Schwerin u. -Strelitz, worin: die Addressen der Magistratspersonen der Städte, der weltlich obrigkeitlichen Beamten der Flecken, der Accise- und Postbeamten, fremden Consuls, Advocaten, Apotheker, Kaufleute, Fabrikanten, Manufacteurs, Buchhändler, Gasthofinhaber und anderer dazu qualificirende Handels- oder industrielle Geschäfte treibende Leute in den Großherzopthümern, wie auch: bei jedem entsprechenden Orte Angabe seiner Wolkszahl, Meilenzeiger, Notizen über Schiffs-, Fuhrgelegenheiten etc.
  • Arlt, Klaus / Beyer, Constantin / Ehlers, Ingrid / Etzold, Alfred / Fahning, Kerstin Antje: Zeugnisse jüdischer Kultur. Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen
  • Borchert, Jürgen / Klose, Detlef: Was blieb... Jüdische Spuren in Mecklenburg
  • Buddrus, Michael / Fritzlar, Sigrid: Die Städte Mecklenburgs im Dritten Reich: ein Handbuch zur Stadtentwicklung im Nationalsozialismus, ergänzt durch ein biographisches Lexikon der Bürgermeister, Stadträte und Ratsherren
  • Kasten, Bernd: Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938-1945
  • Voß, Gerhard: Jüdische Friedhöfe in Mecklenburg – eine Bestandsaufnahme
    In: Studienhefte zur Mecklenburgischen Kirchengeschichte, Heft 1 (1993), S. 5-15

Dokumente mit Bezug zu den Juden von Mirow


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Beschreibung Zeitpunkt/Zeitraum Typ
Synagogenordnung für Mirow von 1799 19. Juni 1799 Transkript