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Crivitz

Zur jüdischen Geschichte von Crivitz


Ob die Landstadt Crivitz in der ersten Phase der jüdischen Besiedlung Mecklenburgs über jüdische Einwohner verfügte, ist nicht bekannt.

Wann genau sich während der Neubesiedlung die ersten Juden sich hier niederließen, ist gleichfalls unbekannt. Ab spätestens 1770 lebte in Crivitz nachweislich ein offiziell als Schutzjude anerkannter Einwohner namens Marcus Joseph Hirsch mit seiner Familie. Aufgrund überlieferter Geburtsdaten anderere Crivitzer Judenfamilien dürften die ersten Juden jedoch hier schon um spätestens 1739 ansässig gewesen sein. Im Laufe des 18. Jahrhunderts zogen noch weitere jüdische Familien hinzu.

Der jüdische Zuzug führte dazu, dass der Crivitzer Magistrat sich um die wirtschaftliche Tragbarkeit von jüdischen Neuankömmlingen und vor allem um die Existenz ihrer christlichen Händler Sorgen machte. In diesem Zusammenhang nicht gerade förderlich war ein Vorfall in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, der diverse Magistrate, Landesbehörden und Beamte lange Jahre beschäftigte und zeigte, dass eine unterschwellige Furcht vor den Juden bestand. Inwieweit diese im vorliegenden Fall tatsächlich berechtigt war, lässt sich nach der Aktenlage nicht eindeutig klären, auch wenn an der offiziellen Version wohl Zweifel angebracht sind. Im Januar 1771 wurde in dem Hagenowschen Amtsdorfe Lütten Crambs eine Familie durch eine Bande ausgeraubt, wobei die Ehefrau des Büdners ermordet wurde. Dieser und auch weiterer Taten im Mecklenburger Raum wurde sehr schnell eine Gruppe landesfremder Juden beschuldigt, deren Mitglieder sich kurz danach unter anderem in Crivitz eingefunden hatten und dort sofort arretiert wurden. Im Rahmen der Ermittlungen wurden darüber hinaus auch Crivitzer Schutzjuden inhaftiert, unter denen sich neben dem Crivitzer Rabbiner Baruch Hentzel, einem landesfremden jüdischen Studenten und dem schon erwähnten Schutzjuden Marcus Hirsch fast alle im Mannesalter befindlichen Juden von Crivitz befanden. Wie die Ermittlungen eindeutig ergaben, hatten auch christliche Bürger von Crivitz zweifelhaften Kontakt zu den beschuldigten ausländischen Juden gehabt. Doch im Gegensatz zu den Crivitzer Juden ist in der Akte kein Hinweis darauf zu finden, dass diese ebenfalls inhaftiert wurden. Alle Crivitzer Juden mit Ausnahme des Rabbiners wurden nach einem längeren Gefängnisaufenthalt von einer Beteiligung an der Tat letztlich freigesprochen.

Die Crivitzer Judenschaft mietete mit landesherrlicher Genehmigung bereits ab Mitte 1791 zwei Häuser als Synagoge für den Gottesdienst. Die jüdische Gemeinde muss sich in der Folgezeit noch weiter rasch entwickelt haben, denn im Jahre 1804 bat die Gemeinde um Erlaubnis zur Errichtung eines Anbaus an der Synagoge, um darin eine jüdische Schule zu etablieren.

Bei der Annahme der erblichen Familiennamen auf der Grundlage des Emanzipationsedikts im Jahr 1813wurden dann über Crivitz die folgenden Familiennamen originär gemeldet: Behr, Jacobsohn, Ladewig, Leo, Meyer, Nathan, Rubensohn, Samuel und Wolff. Diese Annahme von erblichen Familiennamen war eine Forderung des Emanzipationsedikts vom 22. Febuar 1813 gewesen, das den Mecklenburger Juden endlich nahezu gleiche Rechte wie der christlichen Bevölkerung zusicherte. Insbesondere die Stadt Crivitz widersetzte sich dieser Konstitution und verweigerte ihren jüdischen Einwohnern den Bürgereid und vor allem ihre Gewerbefreiheit, da sie sich um die Existenz ihrer christlichen Händler in der Stadt Sorgen machte. Der Magistrat nahm nun an, die Juden würden alles übernehmen, ein Argument das bei der Anzahl der Juden in Crivitz heute mehr als grotesk erscheint. Crivitz war die erste Stadt in einer Reihe vieler Mecklenburger Städte, die mit einer Eingabe bei der Landesegierung versuchten, die Umsetzung der Rechte zu verhindern. Die damaligen Gemeindevorsteher Levin Ladewig und Gedalje Leo waren entsetzt und intervenierten zunächst erfolgreich bei der Landesregierung. Die errungenen Rechte der Juden endeten allerdings schon 1817 mit der Kassation der vorgenannten Konstitution auch in Crivitz.

Dass die jüdische Gemeinde über die Jahre weiter wuchs, bezeugen die Judenverzeichnisse im Stadtarchiv Crivitz. Das erste dort geführte Verzeichnis vom 4. Mai 1816 listet insgesamt 19 jüdische Männer, 12 Frauen und 29 Kinder auf. Bereits am 11. Dezember 1816 wurde ein weiteres Verzeichnis erstellt und es enthielt nun 11 jüdische Haushalte mit insgesamt 30 jüdischen Einwohnern. Ein späteres Verzeichnis vom 1. Dezember 1823 führte nun schon insgesamt 46 Männer, 14 Frauen und 12 Kinder auf. Das nachfolgenden Verzeichnis vom 30. Oktober 1826 bezeugte dann schon 50 jüdische Männer, 13 Frauen und 12 Kinder für Crivitz sowie nun auch einen Schullehrer namens Jaffe. Um 1850 erreichte die Crivitzer Gemeinde schließlich ihren Höchststand, soweit es die Anzahl ihrer Gemeindemitglieder angeht.

Am 2. April 1861 erhielt die Crivitzer Gemeinde auf landesherrliche Anordnung eine Gemeindeordnung. 1864 wurde durch die Gemeinde ein eigens nur als Synagoge gedachtes Gebäude erbaut und als solche in diesem Jahr eingeweiht.

Das weitere Schicksal der jüdischen Gemeinde von Crivitz ähnelt in seiner Abfolge dem vieler Mecklenburger Landstädte: Ab Mitte des 19. Jahrhunderts kam es dann zu einer verstärkten Abwanderung auch der Juden in die Großstädte, was am 27. Mai 1918 dazu führte, dass die beiden letzten Gemeindemitglieder, Otto Ladewig und Eduard Jacobson, einen Antrag an das zuständige Großherzogliche Ministerium stellten, sich der Israelitischen Gemeinde Schwerin anschließen zu dürfen, was anschließend genehmigt wurde. Das Synagogengebäude wurde im Rahmen der Auflösung verkauft. Dennoch lebten in Crivitz weiterhin jüdische Einwohner.

Die Auswirkungen der Judenverfolgung im Dritten Reich gingen auch an Crivitz nicht vorüber. Wie andernorts üblich, standen am Tage des „Judenboykotts“ im Jahre 1933 SA-Posten vor den jüdischen Geschäften und Kaufhäusern, um potentielle Käufer abzuschrecken. Doch nicht alle Crivitzer ließen sich das gefallen. Da die SA-Posten meist nicht aus Crivitz stammten, gingen die Kunden dazu über, durch den Hintereingang in die Geschäfte zu gelangen. Doch nachdem die SA dies bemerkte, wurden fortan auch an den Hintereingängen Posten platziert. Selbst danach gab es noch couragierte Bürger, die trotz der Repressalien durch die SA bewusst weiter bei Juden einkauften. Wie der Zeitzeuge und Crivitzer Tierarzt Dr. Fritz Rohde berichtet, wurden in der so genannten „Reichskristallnacht“ 1938 die großen Schaufenster des Kaufhauses Jacobson-Löwenstein zerschlagen und auch der jüdische Friedhof in Crivitz teilweise verwüstet.

Die jüdische Gemeinde war zu diesem Zeitpunkt durch den Wegzug vieler Mitglieder nur noch marginal vorhanden und die Stadt Crivitz erklärte sich dann am 15. September 1935 als erste Stadt des Landes Mecklenburg für „judenfrei“. In Wirklichkeit traf das jedoch nicht zu, denn der letzte in Crivitz verbliebene Jude, der ehemalige Kaufmann und Rentier Otto Ladewig, lebte noch hier. Mit seinem Selbstmord 1937 endete die jüdische Geschichte von Crivitz.

In Crivitz haben sich neben der Stadtverwaltung und dem örtlichen Heimatverein vor allem die Regionalhistoriker Karl-Friedrich Röhl und Dieter Conell um die Erhaltung und Überlieferung der jüdischen Ortsgeschichte verdient gemacht. Sie initiierten zusammen mit dem Heimatverein und der Stadtverwaltung unter anderem die Verlegung mehrerer Stolpersteine und die Anbringung einer Gedenktafel am Grundstück des ehemaligen jüdischen Friedhofs. Röhl, der auch Ehrenbürger von Zapel war, verfasste noch kurz vor seinem Ableben im November 2014 zwei wichtige Manuskripte zur ehemaligen jüdischen Gemeinde von Crivitz und zur hier einst ansässigen Familie Jacobson und half mit seiner uneigennützigen Arbeit so einigen Nachkommen der Juden von Crivitz.

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(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 22.09.2015)
Quellen:

  • Bernhardt, Hans-Michael: Bewegung und Beharrung: Studien zur Emanzipationsgeschichte der Juden im Grossherzogtum Mecklenburg-Schwerin 1813-1869, Forschungen zur Geschichte der Juden, Reihe A: Abhandlungen Band 7, Dissertation an der Technischen Universität Berlin, Verlag Hahn, Hannover 1998
  • Francke, Norbert / Krieger, Bärbel: Die Familiennamen der Juden in Mecklenburg: Mehr als 2000 jüdische Familien aus 53 Orten der Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz im 18. und 19. Jahrhundert. Schriften des Vereins für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e. V., Verein für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e.V., Schwerin 2001
  • Gramenz, Jürgen: Ladewig: Dokumentation eines jüdischen Familienverbandes aus Mecklenburg, Cardamina-Verlag, Plaidt 2013
  • Landeshauptarchiv Schwerin: 10.72-2, Landesrabbinat (1840–1938), Nr. 3, Familiensachen Ladewig.
  • Röhl, Karl-Friedrich: Die jüdische Gemeinde in Crivitz, unveröffentlichtes Manuskript
  • Stadt Crivitz: Chronik der Stadt Crivitz, 2. korrigierte Auflage, Crivitz 2001

Jüdische Bevölkerungsentwicklung in Crivitz


Jüdische Bevölkerungsentwicklung in Crivitz

Familien mit Bezug zu Crivitz


Aaron, Abraham, Adler, Behr, Bendix, Burke, Böwer, Cohen, Daniel, Fraustädter, Haag, Heine, Hirsch, Hirschfeld, Itzig, Jacobson/Jacobsohn, Krull, Ladewig, Lazarus, Leiser, Leo, Levin, Levissohn, Liebreich, Löwenhelm, Löwenstein, Löwenthal, Löwi/Löwy, Mannheim, Meyer, Nathan, Nickelsburg, Rubensohn/Rubenson, Sachs, Salomon, Samuel, Simon, Steinmann, Sußmann, Wulff/Wolff

Persönlichkeiten


Bekannte Holocaust-Opfer (13)


  • Helene Aron geb. Rubensohn
  • Rubensohn Frieda Dieber
  • Frieda Dieber geb. Rubensohn
  • Richard Jacobson
  • Paul Jacobson
  • Otto Ladewig
  • Minna Lilienthal geb. Aaron
  • Ella Lipschütz geb. Jacobson
  • Ida Löwenstein geb. Löwi / Löwe
  • Hugo Löwenstein
  • Franz Israel Rubensohn
  • Adolf Israel Rubensohn
  • Clara Wolff geb. Ladewig

Stolpersteine: 3


  • Am Markt 7
    • Otto Ladewig
  • Parchimer Straße
    • Hugo Löwenstein
    • Ida Löwenstein geb. Löwi / Löwe

Veröffentlichungen zu den Juden von Crivitz


Publikationen


  • Mercantilisches Addreßbuch der Großherzogthümer Meckl.-Schwerin u. -Strelitz, worin: die Addressen der Magistratspersonen der Städte, der weltlich obrigkeitlichen Beamten der Flecken, der Accise- und Postbeamten, fremden Consuls, Advocaten, Apotheker, Kaufleute, Fabrikanten, Manufacteurs, Buchhändler, Gasthofinhaber und anderer dazu qualificirende Handels- oder industrielle Geschäfte treibende Leute in den Großherzopthümern, wie auch: bei jedem entsprechenden Orte Angabe seiner Wolkszahl, Meilenzeiger, Notizen über Schiffs-, Fuhrgelegenheiten etc.
  • Adreßbücher über und für den Gewerbe- und Handelsstand der Großherzogthümer Mecklenburg-Schwerin und Strelitz
  • Altmann, Helene: Erinnerungen zu den Familien Levissohn, Solmitz, Altmann und Ladewig
  • Röhl, Karl-Friedrich: Familie Jacobson in Crivitz
  • Röhl, Karl-Friedrich: Die jüdische Gemeinde in Crivitz
  • Arlt, Klaus / Beyer, Constantin / Ehlers, Ingrid / Etzold, Alfred / Fahning, Kerstin Antje: Zeugnisse jüdischer Kultur. Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen
  • Borchert, Jürgen / Klose, Detlef: Was blieb... Jüdische Spuren in Mecklenburg
  • Buddrus, Michael / Fritzlar, Sigrid: Die Städte Mecklenburgs im Dritten Reich: ein Handbuch zur Stadtentwicklung im Nationalsozialismus, ergänzt durch ein biographisches Lexikon der Bürgermeister, Stadträte und Ratsherren
  • Fischer, Gudrun: „Unser Land spie uns aus": Jüdische Frauen auf der Flucht vor dem Naziterror nach Brasilien
  • Gramenz, Jürgen: Ladewig: Dokumentation eines jüdischen Familienverbandes aus Mecklenburg
  • Gramenz, Jürgen: Historisches Bürgerbuch der Stadt Crivitz, Abschrift
  • Kulturausschuss der Stadt Crivitz: Die Crivitzer Synagoge: Mehr als die Geschichte eines Gebäudes. Eine Rückblende, eine Vorschau, ein Standpunkt
  • Redmer, Kurt: Vergessen? Erinnern! Mahnende Geschichte: Dokumentation über Geschehnisse in Mecklenburg in der Zeit des Hitlerfaschismus und danach
  • Stadt Crivitz: Chronik der Stadt Crivitz
  • Morisse, Heiko: Über die aus Warin in Mecklenburg stammende Familie Friedrichs
    In: Liskor - Erinnern: Magazin der Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie e. V., 1. Jahrgang, November 2016, Nr. 004, S. 20-29

Dokumente mit Bezug zu den Juden von Crivitz


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Beschreibung Zeitpunkt/Zeitraum Typ
Auszug aller privilegirten Juden und was selbige Laut der, mittelst Herzoglich Verordnung vom 20. Septbr. 1760 Communicirten Specification An Schutz-Geld Zur Herzoglich. Renterey von Anno 1749 bis zum Termino Trinitatis 1760 bezahlet haben, und darauf nach infinuation gedachter Specification, nemlich den 1ten Octobr. 1760 Restiren. 1749-1760 Transkript
Berichte der örtlichen Steuerstuben zu Knechten der ansässigen Schutzjuden auf Anforderung der Steuer-Policey- und städtischen Cämmerey-Commißion zu Güstrow vom 18. Juni 1811 1811 Zusammenfassung
General-Verzeichniß der in den Städten des Großherzogthums Mecklenburg Schwerin privilegirten sämmtlichen Schutz-Juden 3. Januar 1825 Transkript
Schutzjudenlisten für das Jahr 1824 für Bützow, Brüel, Crivitz und Goldberg 1824 Transkript
Vereinbarung des Magistrats von Crivitz mit der hiesigen Gemeinde nach Auflösung 1913 1913 Transkript