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Jüdischer Friedhof Ludwigslust

Region: Ludwigslust-Parchim
Adresse: Ludwigslust, Laascher Weg 4 (früher: Heldenhainweg, Neustädter Chaussee)
Erhaltung: zerstört und überbaut

Geschichte des Friedhofs

In dem Vorläuferort der späteren Stadt Ludwigslust dürfte es zu Zeiten der jüdischen Erstbesiedlung Mecklenburgs mangels einer jüdischen Gemeinde auch keinen jüdischen Friedhof gegeben haben. Der überlieferte Friedhof stammt erst aus der Zeit nach der jüdischen Wiederbesiedlung Mecklenburgs. Zumindest für das 18. Jahrhundert ist unbekannt, wo die Toten der jüdischen Gemeinde von Ludwigslust bestattet wurden. Möglicherweise wurden wie in einigen anderen jüdischen Gemeinden auch hier die Verstorbenen zunächst noch auf dem recht weit entfernten jüdischen Friedhof von Schwerin bestattet.

Erst nach einem entsprechenden Antrag der Ludwigsluster Judenschaft wurde ihnen am 6. Januar 1823 zumindest auf dem Papier ein Begräbnisplatz in der Nähe der sogenannten Grätkuhle gegen jährliche Zahlung eines Kanons und Verpflichtung zur Einfriedigung überlassen. Dazu kam es jedoch zunächst aus unbekannten Gründen nicht. Vielmehr wünschte die Judenschaft am 19. August 1823 die Änderung des zukünftigen Ortes des Friedhofs am Grabower Wege zur Neustädter Allee. Es dauerte trotzdem noch zwei Jahre, bis der Friedhof dann Realität wurde. Erst am 24. September 1825 ist dem Schutzjuden Liebmann Salomon offenbar als Vertreter für die Judenschaft das Friedhofsgelände der jüdischen Gemeinde von Ludwigslust übergeben worden. Im Gegenzug hatte diese einen jährlichen Kanon in Höhe von 32 Schillingen N/3 zu zahlen, was diese bis 1935 auch ohne Unterbrechnung tat. Umgerechnet entsprach der Kanon später 2,33 Reichsmark und nach der Inflation 0,58 Reichsmark.

Das Grundstück des Friedhofs lag ursprünglich weit außerhalb der Stadt, war 2168 qm groß und behielt diese Größe bis zu seiner Beseitigung bei. Ein Grundbuchblatt ist erst nach dem Zweiten Weltkrieg angelegt worden. Er wurde jedoch als „Kirchhof der Judengemeinde“ im Flurbuch unter der Nummer 1942 verzeichnet und erhielt die Karten-Nr. 2042. Zunächst lief der Friedhof postalisch unter der Adresse Neustädter Allee, später Neustädter Chaussee, zu Zeiten des Nationalsozialismus im Heldenhainweg. Die heute Lage des ehemaligen Friedhofsgrundstücks entspricht heute der Adresse Laascher Weg 4 und befindet sich damit am nordöstlichen Rand der Stadt.

Obwohl die Verpflichtung zur Einfriedung des Begräbnisplatzes wohl schon von Anfang an bestanden haben dürfte, beantragte der damalige Gemeindevorstand, bestehend aus dem Kaufmann Simon Ascher und einem Herrn Wolffenstein, erst am 16. Mai 1836 zur städtischen Registratur die Genehmigung zur Errichtung einer Friedhofsmauer. Vorstand Kaufmann Simon Ascher wiederholte den Antrag am 20. Januar 1838 nochmals zur Registratur. Im Anschluss muss der Friedhof mit einer Mauer aus Raseneisenstein umfriedet worden sein. Am 19. Januar 1846 wurde einer weiteren Bitte des jüdischen Gemeindevorstandes entsprochen, wonach der Weg, der vom Judenfriedhof zur Neustädter Chaussee führte, bis zum Groß-Laascher Weg verlängert werden sollte.

Unmittelbar nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten blieb der Friedhof zunächst unangetastet. Dieser befand sich jedoch schon in einem mehr oder weniger verwahrlosten Zustand, da zu diesem Zeitpunkt nur noch vier jüdische Einwohner in Ludwigslust lebten und nur wenige Gräber noch gepflegt wurden. Den Nationalsozialisten, insbesondere dem damaligen Bürgermeister und NSDAP-Mitglied Wilhelm Gerhard Müller, war dieser jedoch ein Dorn im Auge. In der Ratssitzung vom 14. März 1935 beschlossen sämtliche Ratsmitglieder und Stadtverordnete die Frage klären zu lassen, ob die Benutzung des jüdischen Friedhofs verboten werden könne, in dem die Sache dem Gemeindetag zur Klärung vorgelegt werden sollte. Die Ratsmitglieder planten, den Friedhof soweit möglich zu enteignen und daraus Baugelände für Kleinsiedlung zu machen oder andernfalls im Wege der Verhandlung mit dem Eigentümer den Friedhof als Baugelände zu erwerben. Da in fast jeder Mecklenburger Stadt solche Bestrebungen seitens der Behörden vorlagen, sollte die Vorgehensweise der Aneignung der Friedhöfe für alle Städte gleichzeitig geklärt werden, wobei der Ludwigsluster Bürgermeister eine zentrale Rolle einnahm, jedoch aufgrund der Vielzahl der zu klärenden Eigentumsfragen offensichtlich zeitlich überfordert war. Die Frage nach dem Weiterbestehen des jüdischen Friedhofs von Ludwigslust blieb damit für Jahre in einem Schwebezustand.

Am 7. März 1938 stellte die Polizei in Ludwigslust fest, dass sich in der nördlicher Mauer seit drei bis vier Jahren ein drei Meter langes Loch befinde, das durch Einsturz entstanden, nun aber weiter eingestürzt sei, wodurch sich das Loch mittlerweile auf sieben Meter erweitert hatte. Noch im März wurde die Mauer durch den Ludwigsluster Baumeister Ludwig Rieke wiederhergestellt. Noch bis April 1938 wurden die Gräber der zu diesem Zeiptunkt noch ansässigen Frau Kastan durch die Eheleute Wilhelm Schoop gepflegt, die dadurch ihre Darlehensschulden abtrugen. Nachdem die Polizei die NSDAP-Ortsgruppe über diesen Umstand in Kenntnis gesetzt hatte, wurden die Schoops deswegen unter Druck gesetzt und mussten die Grabpflege daraufhin unverzüglich einstellen.

Erst 1943 stand die Einebnung des jüdischen Friedhofs wieder zur Debatte, als der Ortsgruppenleiter Kurths der NSDAP-Ortsgruppe Ludwigslust/Klenow am 1. Juni 1943 an den Bürgermeister der Stadt Ludwigslust herantrat und einen Antrag auf Einebnung des nunmehr im Heldenhainweg gelegenen jüdischen Friedhofs stellte, da seiner Ansicht nach „dieses wahrhaft keine Helden sind“ und um einen Spielplatz für die ca. 60 Kinder starke Kindergruppe zu schaffen. Darüber hinaus lägen die Grabsteine kreuz und quer durcheinander sowie sei dort auch Unrat vorhanden. Der Bürgermeister forderte daraufhin am 9. Juni 1943 die Zweigstelle Rostock der Reichsvereinigung der Juden unter Androhung von Auflagen zum Verkauf der Fläche auf, die danach eingeebnet und zu einer Grünanlage umgestaltet werden sollte, ohne jede Aufgrabungen oder Umbettungen der Gräber vorzunehmen. Doch dazu kam es nicht mehr, denn gemäß des Erlasses des Reichssicherheitshauptamtes Berlin vom 5. Juni 1943 - IV B 4 b - 3072/43 g -(213) - war die Zweigstelle Rostock mit dem 10. Juni 1943 aufgelöst worden, deren Vermögen in das Eigentum des Deutschen Reiches übergegangen und wurde durch den Oberfinanzpräsidenten Nordmark in Kiel verwaltet. Dieser übereignete den jüdischen Friedhof schließlich vor Dezember 1943 an die Stadt Ludwigslust. Der Bürgermeister war dennoch um den Schein einer Legalität bei der geplanten Beseitigung des Friedhofs bemüht. So unterrichtete er am 13. Dezember 1943 die Landesdienststelle Mecklenburg des Deutschen Gemeindetags in Schwerin, dass er die Absicht habe, den Israelitischen Oberrat unter Androhung der Einebnung zur würdigen Herrichtung der Grabstätten aufzufordern und dabei die Forderung für eine Ersatzvornahme durch die Stadt so hoch anzusetzen, „daß die Juden nicht in der Lage sind, dieser Auflage nachzukommen“. Der Vorsitzender der Landesdienststelle Mecklenburg des Deutschen Gemeindetags in Schwerin sah den Weg zwar als gangbar an, jedoch als reichlich umständlich und wurde deutlich: „Ich würde den Friedhof ohne weiteres einebnen, ohne lange zu fragen“. Einer Aktennotiz des Bürgermeisters vom 20. Januar 1944 ordnete dieser schließlich die Abräumung des Friedhofs ohne Aufgrabung an. Was mit den vollständig abgeräumten Grabsteinen passierte, ist ungeklärt.

Am 23. Februar 1944 beantragte ein Ludwigsluster Schlachtermeister bei der Stadt den Kauf des ehemaligen Friedhofsgeländes, da er darauf nach Kriegsende ein Wohnhaus erbauen wollte, bis dahin das Gelände aber als Gartenland bewirtschaften wollte. Nachdem ihm das Grundstück zunächst als Grabeland überlassen worden war, wurde es noch im Jahr 1944 an ihn veräußert, der daraufhin noch zu Kriegszeiten ein Behelfsheim, eine Waschküche und einen Stall errichtete. Wie aus der Niederschrift über die Ratssitzung vom 30. Juni 1947 hervorgeht, muss dieser dabei mit den Gräbern nicht zimperlich umgegangen sein, denn er wurde in diesem Jahr zu drei Jahren Gefängnis wegen Leichen- und Friedhofsschändung verurteilt.

Nach dem Krieg wurde der ehemaligen jüdischen Friedhof zunächst in städtische Verwaltung übernommen. Die Stadt nahm schon 1946 erste Aufwendungen zur Wiederherstellung des Hauses und Instandsetzung des Friedhofsgeländes vor. Eine Vorortbesichtung im Jahr 1947 ergab, dass das Gelände „im Ganzen gesehen in Ordnung“ sei, auch wenn die Mauer an einigen Stellen durchbrochen war. Das Wohngebäude war innen allerdings „übel zugerichtet“, da es durch die Besatzungstruppen requiriert worden war. Beide Haustüren und ein Fenster auf der Westseite fehlten, die restlichen Türen und Fenster waren vorhanden, zum Teil mit Glas. Es diente als Schlosserreparaturwerkstatt der Fahrer der Firma Ketsch, welche es vorläufig nicht freigeben wollte, da man die Absicht hatte, das Lager an der Wöbbeliner Straße (ehemaliges Reichsgetreidespeicher) hierher zu verlagern. 1948 wurden dann auf Initiative des Kreis- und Ortsvorstandes der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN) Wiederherstellungsarbeiten am jüdischen Friedhof durchgeführt. Es wurden umfangreiche Gärtnerarbeiten und eine Renovierung des Tores und der Mauer vorgenommen. Ein geplanter Gedenkstein wurde zunächst nicht errichtet.

1951 wurde das Eigentum des ehemaligen Friedhofs an die Jüdische Landesgemeinde Mecklenburg übertragen. Bereits zuvor hatte ein Mitglied der jüdischen Landesgemeinde das Wohngebäude angemietet. Die Landesgemeinde übernahm den Mietvertrag und der Rat der Stadt Ludwigslust kam dem Wunsch der Landesgemeinde nach, für das Grundstück ein Grundbuchblatt anzulegen und die Landesgemeinde als Eigentümerin einzutragen. 1962 wurde im Vorderteil des Grundstücks eine kleine Gedenkstätte angelegt und ein Gedenkstein mit einer Inschrift aufgestellt. 1974 verkaufte die Landesgemeinde das Wohnhaus und den Garten an privat.

Das Gebäude auf dem Grundstück des ehemaligen jüdischen Friedhofs dient heute als privates Wohnhaus. Die Raseneisensteinmauer soll noch vorhanden sein. Vom Gedenkstein fehlt jedoch jede Spur.

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(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 06.05.2017)
Quellen:

  • Arlt, Klaus / Beyer, Constantin / Ehlers, Ingrid / Etzold, Alfred / Fahning, Kerstin Antje: Zeugnisse jüdischer Kultur. Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, Wichern-Verlag, Berlin 1992
  • Borchert, Jürgen / Klose, Detlef: Was blieb... Jüdische Spuren in Mecklenburg, Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 1994
  • Brocke, Michael / Ruthenberg, Eckehart / Schulenburg, Kai Uwe: Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), Institut Kirche und Judentum, Berlin 1994
  • Landeshauptarchiv Schwerin: Rep. 2.26-7/1, Nr. 7873 (Großherzogliches Kabinett I / Sachakte)
  • Stadtarchiv Ludwigslust: Sig. 1/117 (Akten betreffend Ankauf des Judenfriedhofes); Sig. 1/119 (Akten betreffend aus den Akten der Mecklenburger Städte über ihre Judenfriedhöfe, hergestellt auf Veranlassung der Gauleitung d. NSDAP)