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Paul Bernhard

(* 6. August 1883 Dargun — † 11. Januar 1974 Santiago de Chile)

Paul Bernhard wurde als Sohn des Darguner Bürstenfabrikaten Siegmund Bernhard und seiner Ehefrau Helene geb. Löwenberg am 6. August 1883 in Dargun als ältester von drei Brüdern geboren. Im Mai 1890 verlegte sein Vater den Firmen- und Lebensmittelpunkt der Familie nach Rostock, so dass die Söhne mehr oder weniger in Rostock aufwuchsen.

Üblicherweise übernahmen in dieser Zeit die erstgeborenen Söhne die väterliche Firma. Die Gründe, weshalb das bei den Bernhards nicht so war, sind unbekannt. Paul entschied sich nach dem Abitur an der Großen Stadtschule in Rostock 1902 für ein Jura-Studium, das er in Rostock, München und Berlin absolvierte. Statt seiner trat sein Bruder Arnold Bernhard in die beruflichen Fußstapfen des Vaters und übernahm später die Familienfirma. 1912 erhielt Paul die Zulassung als Rechtsanwalt und ließ sich in Rostock mit einer eigenen Kanzlei in der Breiten Straße 1 nieder.

Noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, am 3. August 1914, heiratete er die nicht-jüdische Tochter Irma des Rostocker Malers Artur Eulert, die dazu eigens und eher unüblich für die damalige Zeit zum Judentum übertrat. Die vier gemeinsamen Kinder Rudolf (1915), Joachim (1918), Hans-Dieter (1923) und Ingeborg (1925) wurden später Rostock geboren.

Die Bernhards waren als patriotische deutsche Staatsbürger bekannt und nicht nur innerhalb der jüdischen Gemeinde geachtet. Für Paul war es ebenso wie für seinen Bruder Arnold eine Selbstverständlichkeit, ihre schwere Pflicht im Ersten Weltkrieg für ihr Vaterland zu leisten. Wie sein Bruder überlebte er den Krieg unversehrt und hatte während dessen mehrere Medaillen erhalten, unter anderem auch das Eiserne Kreuz II. Klasse.

Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit, bei der er vorrangig Konkursverwaltungen übernahm, und seinem Notarsamt war er auch politisch interessiert. So gründete er die Ortsgruppe der Deutschen Demokratischen Partei mit und kandidierte für diese 1918 und 1920 bei den Wahlen zur Rostocker Stadtverordnetenversammlung. Auch in sportlicher Hinsicht war er in Rostock aktiv. Sein Faible für den Sport stammte noch aus den frühesten Kindertagen in Dargun, als er dort das Eislaufen erlernt hatte, einem Sport, dem er über 50 Jahre treu blieb. In Rostock übernahm er verschiedenste Funktionärsämter in den örtlichen Sportvereinen.

Mit Machtergreifung der Nationalsozialisten ereilte auch ihn und seine Familie die üblichen Repressalien. So wurde er schon 1933 aus „rassischen“ Gründen aus allen seiner sportlichen Ämter ausgeschlossen. Aufgrund seiner Frontkämpfereigenschaft durfte er wie nur wenige weitere seiner Kollegen noch bis zum 1. Dezember 1938 praktizieren, allerdings nur noch für jüdische Klienten. Zur „Reichskristallnacht“ am 9./10. November 1938 wurde er, wie die meisten männlichen Juden in Mecklenburg, in sogenannte Schutzhaft genommen, in das Gefägnis Alt-Strelitz verbracht und kurze Zeit später wieder entlassen, jedoch nur unter der Zusicherung, Deutschland unverzüglich zu verlassen. Anders als bei seinem Bruder Arnold waren mit dem Berufsverbot seiner Familie sofort jegliche Möglichkeit zum Lebensunterhalt entzogen worden. Im August 1939 flohen deshalb er und seine Ehefrau nach London, gerade noch rechtzeitig, bevor die Reichsgrenzen aufgrund des Zweiten Weltkriegs geschlossen wurden. Die gemeinsamen Kinder waren bereits vor ihnen emigriert und entgingen deshalb dem Holocaust, ganz im Gegensatz zu seiner Mutter Helene und seinem Bruder Arnold Bernhard und dessen Familie.

Die Bernhard zogen später zu ihrem Sohn Joachim nach Chile, wo sie sich mit einer Geflügelzucht und einer Gemüsefarm eine neue Existenz aufbauten. Paul Bernhard verstarb schließlich am 11. Januar 1974 in Santiago de Chile.

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(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 15.05.2016)
Quellen:

  • Matrikel Universität Rostock
  • http://ruh.soziale-bildung.org/node/20
  • Bundesrechtsanwaltskammer (Hrsg.): Anwalt ohne Recht: Schicksale jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933, be.bra Verlag, Berlin-Brandenburg 2007
  • Kasten, Bernd: Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938-1945, Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern, Thomas Helms Verlag, Schwerin 2008
  • Projekt Juden in Mecklenburg: Gesamtstammbaum der Mecklenburger Juden (GEDCOM)
  • Schröder, Frank / Ehlers, Ingrid (Hrsg.): Zwischen Emanzipation und Vernichtung: Zur Geschichte der Juden in Rostock. Schriftenreihe des Stadtarchivs Rostock, Heft 9., Stadtarchiv Rostock, Rostock 1988
  • Schröder, Frank: 100 jüdische Persönlichkeiten aus Mecklenburg-Vorpommern: ein Begleiter zur Ausstellung des Max-Samuel-Hauses, 22. Mai bis 22. November 2003. Schriften aus dem Max-Samuel-Haus 4, Stiftung Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur in Rostock Max-Samuel-Haus, Rostock 2003