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O. G. Tychsen und seine Berührungspunkte mit den Juden in Mecklenburg-Strelitz

Gasiecki, Joachim

Mit den vorliegenden Ausführungen wird der Versuch unternommen, unter Nutzung der feststellbaren Kontakte des Gelehrten Oluf Gerhard Tychsen (1734-1815) die Entwicklung der Juden und ihrer Gemeinde im 18. Jahrhundert im Herzogtum Mecklenburg-Strelitz zu ergänzen und zu konkretisieren, besonders für die Zeit des 18. Jahrhunderts. Wenden wir uns zunächst dem Orientalisten, dem Gelehrten der Semitischen Sprachen und Literatur sowie kundigen Numismatiker selbst zu.

O. G. Tychsen wurde am 14.12.1734 in Tondem im damaligen dänischen Nord-Schleswig in der unter ärmlichen Verhältnissen lebenden Familie des Schneiders und (wahrscheinlichen) früheren dänischen Unteroffiziers Jürgen Tychsen und seiner Ehefrau Hanna Gerhardsen geboren. Nach seiner Schul- und Jugendzeit in Tondem gelangte er durch ein Stipendium, das ein bemittelter Gönner für den begabten und wissbegierigen Jungen vergab, erst 1752 auf eine höhere Schule. Er besuchte für drei Jahre das Gymnasium in Altona und begann danach 1755 in Jena und ein Jahr später in Halle ein Universitätsstudium der Theologie. Von 1757 bis 1759 war er als Lehrer und Aufseher am Waisenhaus der Franckeschen Stiftungen in Halle tätig. Von seiner Schulzeit an bis in seine Studienjahre in Halle erwarb er sich, zum Teil bei jüdischen Lehrern, hervorragende Kenntnisse der alten jüdischen Sprachen, im Hebräischen und im Jiddischen. Er kam in Halle mit dem Gelehrten Callenberg in Kontakt und bereitete sich an dessen „Missionsanstalten zur Bekehrung der Juden und Mohammedaner“ auf eine Tätigkeit als Missionar zur Bekehrung zum Christentum vor. Tatsächlich unternahm Tychsen 1759/1760 zwei Reisen zur Judenmissionierung nach Niedersachsen, Dänemark und Mecklenburg, allerdings ohne jeden Erfolg. Die Versuche der „Proselytenmacherei“ beschäftigten ihn jedoch lebenslang. „Tychsen blieb stets der Auffassung, es sei zum Besten jedes Menschen, Lutheraner zu werden.“ [1]

Zurückgekehrt, bemühte er sich um eine Fortsetzung seiner Ausbildung und seiner Studien an der [Seite 2] Herzoglich-Mecklenburgischen Friedrichs-Universität in Bützow. Er wurde zunächst als „magister legens“ (als besoldeter Lehrer) an der Universität angestellt und erwarb bald darauf, 1761, den Magistergrad (Mag. art.) an der gleichen Einrichtung. Von 1763-1789, also insgesamt 16 Jahre, blieb er Professor der Orientalischen Sprachen an der Bützower Universität. Schon 1766 wurde er für ein Jahr als Rektor berufen, ein Amt, das er dann noch mehrmals ausübte. Ab 1770 fungierte er als Bibliothekar der Akademischen Bibliothek Bützow, die er aufbaute, bis sie 1772 eröffnet werden konnte. 1775 erhielt er den Titel „Herzoglicher Hofrat“. Mit der Zusammenführung der Universitäten Rostock und Bützow arbeitete er schließlich von 1789 bis zu seinem Tode 1815, also noch einmal 26 Jahre, als Professor im gleichen Fachgebiet in Rostock sowie in weiteren Funktionen. Er war gleichzeitig Oberbibliothekar, Kustos des neu gegründeten Naturalienkabinetts (bis 1799) und Direktor des Münzkabinetts.

Noch im hohen Alter wurde ihm im Rahmen der akademischen Selbstverwaltung die Aufgaben eines Vizekanzlers der Universität als eine besondere Ehrung übertragen. Er fand umfangreiche wissenschaftliche Anerkennung und war zwischen 1791 und 1815 Mitglied bzw. Ehrenmitglied von wissenschaftlichen Akademien und Gesellschaften in mehreren Ländern. Der Orientalist O. G. Tychsen hat eine stattliche Anzahl von Veröffentlichungen zu Fragen jüdischer religiöser und anderer Literatur sowie zu Kontakten zu Juden seiner Zeit vorzuweisen. Die meisten dieser Arbeiten enthalten relativ viele Texte in hebräischer oder auch in jiddischer Sprache und sind trotz enthaltener Übersetzungsstellen für einen Nichtkenner dieser Sprachen schwer zu lesen. Das gilt teilweise auch für seine gesammelten Aufsätze in den „Bützowischen Nebenstunden“[2], die zwischen 1766 und 1769 erschienen sind, mit denen er eigentlich ein größeres jüdisches und vor allem nichtjüdisches Publikum erreichen wollte. Obwohl sicher zu Recht von so manchen Autoren die „Nebenstunden“ von Tychsen wegen ihrer oft die Juden herabsetzenden Inhalte kritisiert werden, können wir davon ausgehen, dass vor allem die darin enthaltenen historischen Fakten der Realität entsprechen. Wir haben [Seite 3] daher die den Raum des Herzogtums Mecklenburg-Strelitz betreffenden Fakten hervorgehoben und miteinander verbunden. Aus der Zeit der Erstansiedlung von Juden im mecklenburgischen Raum in der Zeit zwischen dem Beginn des 13. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts ist nur sehr wenig bekannt. Tychsen bemerkt dazu, dass „das nur tolerierte Volk wohl niemalen mit erheblichen Privilegien und Vorzügen in Mecklenburg begnadigt gewesen, dass etwas von demselben in Archivis Ducabilus [= in den Herzoglichen Archiven] des Aufbehaltens zum Andenken wert geachtet werden können“[3]. Die folgenden rund 200 Jahre umfassen eine Zeit der Vertreibung der Juden aus allen Teilen Mecklenburgs. Erst am Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert setzt allmählich eine Wiederbesiedlung in den beiden mecklenburgischen Herzogtümern durch Jüdische Einzelpersonen und Familien ein. Die Herausgeber der Internetseiten des „Projekts Juden in Mecklenburg“ nennen für Mecklenburg-Strelitz – bezogen auf Tychsen – dafür das Jahr 1698, halten aber auch die Zeitangabe 1703/1704 für möglich. Tychsen stellt die Fakten folgendermaßen dar:

„Um das Jahr 1698 hatten auch der damalige Herzog zu Strelitz [und] seine Gemahlin, einen Hofjuden Rabbi Iakof aus Frankfurt an der Oder … in ihren Diensten. [Später] wurde der Knecht des obbemeldeten Iakof, namens Wolf, Hofjude des Herzogs Adolf III. Durch diesen Wolf ist die jüdische Gemeinde in Strelitz eigentlich gestiftet.“ [4]

Tychsen und Mecklenburg-Strelitz

[Seite 4] Danach finden wir bei Tychsen für eine Zeit von rund 60 Jahren keine Bemerkungen zu den Juden in Strelitz. Er kommt zumeist auf Juden aus Schwerin zurück. Das ist mit Sicherheit dadurch zu erklären, dass sein eigentlicher Dienstherr der Herzog von Mecklenburg-Schwerin war, aus dessen Bereich er auch die meisten Nachrichten vermelden wollte. Erst in den „Nebenstunden“ von 1768 finden wir den folgenden Eintrag: „Ein Brief an mich in hebr. und deutschen Reimen aus Strelitz den 16. April 1766 von Simon Elkan, geschrieben daselbst.“

Das so an Tychsen übermittelte Gedicht ist eine Lobpreisung des Gelehrten, dessen Anlass oder Ursache wir nicht kennen. Tychsen, der sehr empfänglich für Anerkennungen aller Art war, hat diesen Text sicher mit Freuden drucken lassen. Wir zitieren dieses Gedicht:

„Ich heiß nicht Cicero im Dichten, auch nicht wie Günther und Neumann,
Für solche Künstler muss ich flüchten, doch schreibe wie ich’s kann.
Wie? sollte ich mich rühmen, Euer Edlen Geschicklichkeit zu preisen?
Oder in Versen zu verblümen, und der Welt deutlich zu weisen?
Wenn die Himmel wären Pergament, und zu Röhren alle Tannen wären
Und wie die Sterne soviel Hände, auch sollte sich das Meer zur Tinte kehren
Ihre Vollkommenheit zu schildern. So fein malen meine Pinsel nicht.
Unter allen weisen Bildern, find ich so kein erleuchtendes Gesicht.
Ach! Wenn ich doch ein Münzmeister wäre, oder ein geschickter Medailleur,
So nähme mir gewiss die Ehre und prägte auf fein holländisch Kehr
Euer Edlen Bild wie Antonius, den frommen Römischen Kaiser,
[Seite 5] Sie gleichen in Menschenliebe der Venus,
in Wissenschaften ein rechtschaffener Weiser.
Man hat nie gehört noch gesehn, von einem so großen Professor
So viel mit Israeliten umzugehn, noch wie Aurelius Güte besser und größer,
Leutselig wie Severus, Süden und Norden zeigen seine Vollkommenheit,
In Erfahrung mehr wie Corelus, Ost und West weiß seine Gelehrsamkeit.“
[5]

Erst im folgenden Teil seiner „Nebenstunden“ finden sich unter dem Titel „Fortsetzung der neueren Geschichte der Juden in Mecklenburg“ weitere Fakten zur jüdischen Entwicklung In Strelitz. Es handelt sich um einige Angaben zur Zahl der Schutzjuden in den beiden mecklenburgischen Herzogtümern aus dem Jahr 1767.[6] Tychsen gibt für dieses genannte Jahr folgende Zahlen für die privilegierten Schutzjuden an:

In Schwerin:43 Schutzjuden
In anderen Orten des Herzogtums:162 „
In Strelitz:131 „
Insgesamt:336 „

Diese Zahlen zeigen, dass allein in Strelitz rund 40 % aller in den beiden mecklenburgischen Herzogtümern ansässigen Schutzjuden wohnten. Nimmt man eine andere Zahl, die Tychsen nennt, dass nämlich eine jüdische Familie mit eventuellem Gesinde durchschnittlich sechs Personen umfasste, wenn wir ferner davon ausgehen können, dass es sich bei der Mehrzahl der Menschen um Familien handelte, dann können wohl 1767 allein in Strelitz rund 700 jüdische Personen gewohnt haben. Eine beträchtliche Ansiedlungsdichte, die wohl nicht an vielen [Seite 6] Orten in deutschen Landen erreicht wurde! Diese umfangreiche Niederlassung ist u. a. darauf zurückzuführen, dass in Mecklenburg-Strelitz eine liberalere Grundhaltung gegenüber den Juden vorhanden war als in Mecklenburg-Schwerin, dazu kommt natürlich das spezifische wirtschaftliche und finanzielle Interesse der Strelitzer Herzöge nach dem großen Stadtbrand von Strelitz im Jahre 1712.

Im gleichen Heft der „Nebenstunden“ stellt Tychsen im Rahmen von Hinweisen auf in letzter Zeit neu erschienenen Veröffentlichungen jüdischer Literatur ein Buch des Rabbi Jehuda Levi Horwitz (Jehuda Lebh) vor, dass unter dem Titel „Auferstehung der Toten“ in hebräischer Sprache in Amsterdam 1767 erschienen ist. Dabei handelt es sich nach Tychsen um einen jüdischen Arzt, der aus Mecklenburg-Strelitz gekommen sei, „seine Handlung in Strelitz niedergelegt und wegen seiner jüdischen Gelehrsamkeit [in Birnbaum/Międzychód in Großpolen] gar polnischer Raf [= ein jiddisches Wort für Rabbiner] vor einem halben Jahr geworden ist“. Verschiedene Juden würden den Autor dieses Buches, den man eigentlich nicht zur jüdischen Orthodoxie zählen könnte, mit der Begründung angreifen, „sein Buch dürfe keiner lesen, weil es ketzerische Sachen anhalte, und wäre überhaupt Narrheit, solche Sachen zu schreiben, da solche doch viel schöner und deutlicher in der Bibel stünden“[7]. Diesen Jehuda Leb schätzte Tychsen offenbar sehr hoch. Er übersetzte die genannte Schrift „Die Auferstehung der Toten“, die von Jehuda Lebh bereits 1765 geschrieben wurde, ins Deutsche und brachte diese Übersetzung 1766 in Bützow heraus. Der Autor zeigt sich darin außerordentlich bescheiden. Seine Schlussworte lauten: „… ich der Geringste unter den Gelehrten Jehuda Lebh der Levite aus Strelitz.“ Und am Ende seines eigenen Vorwortes heißt es: „So schrieb der kleine Jehuda Lebh, aus dem Stamm Levi. – Strelitz, am Mittwoch, den 5. Abh. [Seite 7] 525 nach der kleineren Jahrzahl, d. i. den 23. Julius 1765.“[8] Tychsen setzt der Schrift einen „Vorbericht des Übersetzers“ voran, in dem er über den Verfasser schreibt: „[Der Autor] heißt Jehuda Lebh, sonst Levi Hirsch Levi, welches sein gewöhnlicher Name im gemeinen Leben ist, genannt, und bekleidet jetzt mit vielem Ruhm das unter den Juden so angesehene Amt eines Parnas oder Ältesten in der zahlreichen jüdischen Gemeinde zu Strelitz. Unter seine Vorfahren – sowohl die ihr Geschlecht aus dem Stamm Levi herleiten und daher den Zunamen Levi führen als auch unter seine noch lebenden Anverwandten in und außerhalb Deutschlands – zählt er die berühmtesten Gelehrten, davon ich mich jetzt begnüge, den hier[9] in in Doctorem medicinae öffentlich promovierten Marcus Moses aus Preßburg namhaft zu machen, welcher seiner Frau Schwester – [beide] Töchter des in Strelitz wohnenden berühmten Juden-Vorstehers Meschulles Pheibes, zur Ehe hat.“ [10]

Tychsen setzt sich auch am Beispiel Strelitz mit der Frage auseinander, auf welche Weise ein Jude einen Eidschwur gegenüber einem Christen leisten solle. Er schildert die Situation:

[Seite 8] „Wenn die Juden die Freiheit von der christlichen Obrigkeit erst erlanget haben, dass sie mit Eiden auf einer gedruckten Bibel [gemeint ist eine Bibel in hebräischer Sprache] ohne andere Ceremonien abkommen können, so haben sie die Erfüllung ihrer Wünsche. Dass ich aus Erfahrung schreibe, muss folgendes bezeugen: In Strelitz ist der höchstrühmliche Gebrauch, dass die Juden auf einem koschern geschriebenen Gesetzbuch mit den Talles[11] und Gebets-Riemen gezieret in der Gerichtsstube schwören, und zu dem Ende immer die Thora aus ihrer Schule hinbringen müssen. (Dies ist besser, als dass man eine solche auf der Gerichtsstube immer aufbehält, weil solche doch für untauglich von denen Juden, da sie nicht in ihrer heiligen Lade stehen kann, erkläret wird.) Die ganze dortige Judenschaft lässt zu wiederholten Malen an mich schreiben, dass ich für eine zu hoffende ansehnliche Belohnung es durch meine Vorstellungen bei den dortigen Herren Räten dahin zu bringen mich bemühen möchte, dass dieser ihnen so fatale Brauch, dadurch ihr heiliges Gesetzbuch verunreiniget würde, abgeschafft werden und sie die Erlaubnis erlangen möchten, in Zukunft auf einer gedruckten Bibel, so wie es in Berlin und an anderen Orten gebräuchlich wäre, die Eidschwüre ablegen zu dürfen. Überdem zwänge man gar die Juden, welche doch nur Zeugen abgeben sollten, dass sie ihre Zeugnisse auch auf einer geschriebenen Thora beschwören sollten, denn man gebe vor, dass ein wahrer Schwur ein Gebot sei, ohne zu bedenken, dass alsdann 614 Gebote und Verbote, deren die Juden nur 613 bis jetzt hätten, herauskommen würden. Weil meine Beantwortung meiner obigen Gesinnung gleich [Tychsen trat für die Eidablegung auf die Thora ein], so endigte sich diese Unterhandlung ziemlich hitzig und der älteste Parnas Löw schrieb unter anderem an mich: und ob ich gleich in Mecklenburg wohn, muss meine Feder keine mecklenburgische Gans getragen haben, noch von einem Mecklenburger geschnitten sein.“

Tychsen geht in seiner Argumentation davon aus, dass bei einer allgemein erlaubten Eidablegung auf eine gedruckte Bibel der falschen Eidablegung Tür und Tor geöffnet werden könnte, da der Nichtjude – der eine gedruckte hebräische Bibel gar nicht als solche erkennen kann, leicht getäuscht und betrogen würde. Dagegen sei die geschriebene Thora als solche auch durch Nichtjuden leicht zu [Seite 9] erkennen.[12] Dann würde auch der Anreiz, falsch zu schwören und eine sogenannten „Ochseneid“ abzulegen (durch allerlei Wortspiele vorzutäuschen, dass man auf das Gesetz schwöre), weitgehend entfallen. Er sagt weiter, dass man sogar bei einem Schwur unter den Juden selbst einer Täuschung entgegenwirken müsse, denn auch in einer solchen Situation können Probleme entstehen. So schreibt Tychsen:

„Solches tun die Juden unter sich, wovon ich bloß folgende Stelle aus einem von einem jüdischen Gelehrten aus Strelitz, vom 26. Januar 1767, an mich geschriebenen Brief anführen will: ‚Die Strelitzer Judenschaft hat den R. Sanvil aus Brandenburg zu ihrem Rabbiner erwählt, obgleich R. Lebh und R. Schmuel sehr dawider gewesen. Denn ersterer dachte selbst Raf zu werden. Hierüber sind heftige Zwistigkeiten entstanden, und Pasquillen [= öffentliche Aushänge, Schmähschriften, um eine Person zu verleumden oder in ihrer Ehre zu verletzen] auf den neuen Raf nach Berlin, woselbst er sich damals befand, geschrieben worden. Die Nacht vor der Antrittsrede des Raf fand man wieder Pasquillen, in welchen er als ein Anhänger des Schabs Zwi (welches die größte Beschimpfung ist) beschrieben ward, und weil man den R. Lebh in Verdacht hatte; so schwor er vor der ganzen Gemeinde aus eigener Bewegung … (ob er wohl auch einen Ochsen-Eid abgeleget?), dass er nichts davon wisse.‘“ [13]

Die „Bützowischen Nebenstunden“ wurden von den Juden höchst unterschiedlich aufgenommen. Tychsen selbst schreibt bereits im Teil 2 im Jahr 1766, dass vielfach jüdische Leser andere Juden wegen bestimmter Auslassungen vor Tychsen gewarnt hatten. In Strelitz scheinen solche Warnungen keine große Wirkung hinterlassen zu haben, denn Tychsen vermerkt, dass „viele ihrer vernünftigen [Seite 10] Gelehrten in Polen, Pommern, Holland, Ostfriesland, Strelitz u. a. m. … ihren vorigen gelehrten Briefwechsel … fortsetzten“[14]. Sicher hatte das auch etwas damit zu tun, dass im Strelitzer Raum die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse relativ liberal waren. Mit Blick auch auf etwas unterschiedliche Entwicklungen in den beiden mecklenburgischen Herzogtümer kann man hervorheben: „Im kleineren Mecklenburg-Strelitz kam es zu Entwicklungen, die für das Ende des 18. Jahrhunderts untypisch waren. Dort besaßen Juden Bierbrauereien, Tabakfabriken oder Mühlen …“[15] Es war auch eine nichtjüdische Persönlichkeit aus Strelitz, der Strelitzische Justizrat und spätere Bürgermeister von Neubrandenburg, Friedrich Andreas Müller, der 1802 in Berlin anonym eine Schrift zur Gleichstellung der Juden im Staate veröffentlichte.[16] Ohne näher darauf einzugehen, bleibt die Feststellung, dass es trotz einzelner Fortschritte noch ein langer Weg bis zur Veränderung der rechtlichen Stellung der jüdischen Bürger war. Bei aller Widersprüchlichkeit in seinem Denken und Handeln gebührt O. G. Tychsen ein Platz in diesem Prozess als „Mittler zwischen Juden und Christen“.

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(Gasiecki, Joachim - 14.12.2020)


  • [1] Heinsohn, Ulf/Jennrich, Jacha: Oluf Gerhard Tychsen – Hebraist und Mittler zwischen Juden und Christen. – 2015.
  • [2] Tychsen, O. G.: Bützowische Nebenstunden, verschiedene zur morgenländischen Gelehrsamkeit gehörigen Sachen gewidmet. – In sechs Teilen. – 1. Teil: Bützow, 1766. – 2. Teil: ebd., 1766. – 3. Teil: ebd., 1768. – 4. Teil: ebd., 1768. – 5. Teil: ebd., 1769. – 6. Teil: ebd., 1769. – Online-Veröffentlichung der Universitätsbibliothek Rostock.
  • [3] Nebenstunden, T. 2, 1766, S. 11
  • [4] Nebenstunden, T. 3, 1768, S. 5. – Eigentlich handelte es sich um drei Hofjuden: um die beiden Frankfurter Bankiers Jakof Isaak (= Rabbi Iakof) und Simon Moyses. Dazu kam über die Gattin des Herzogs Adolph Friedrich ein Hofjude Alexander aus Sondershausen. Nachdem diese drei 1704 das Wohnrecht erhielten und auch ihre Familien und ihre drei Knechte nachholen konnten, bildeten sie die erste jüdische Gemeinschaft zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Strelitz. Im Online-Projekt „Juden in Mecklenburg“ wird dazu angenommen, dass diese Gruppe auch schon über einen jüdischen Lehrer verfügt haben könnte.
  • [5] Nebenstunden, T. 4, 1768, S. 46-48. – Dazu schreibt Tychsen in einer Fußnote: „Die Absicht dieses bekannt gemachten Briefes soll in einem der folgenden Teile entdecket werden. Jetzt ist es zu frühe.“ – Tychsen kommt aber nicht wieder darauf zurück. Bei dem Juden Elkan handelt es sich um Rabbi Simon Elkan, der „ein bekannter und trefflicher Gesetzesschreiber in Strelitz“ (nach Tychsen 1766) war und der mit dem Münz-sammler Tychsen über die Numismatik in Verbindung gestanden hat. – Simon Elkan hat offensichtlich noch weitere Gedichte verfasst, so ein Huldigungsgedicht zum Geburtstag der Herzogin Dorothea Sophie am 04. 12. 1747.
  • [6] Nebenstunden, T. 5: 1769, S. 13.
  • [7] Nebenstunden, T. 5: 1769, S. 53-55. – Jehuda Lebh gehört zu den ach jüdischen Studenten, die an der Bützower Universität unter der Förderung durch Tychsen ihr Medizinstudium abschließen konnten.
  • [8] Der Text des Titelblattes dieser deutschen Ausgabe lautet: „Die Auferstehung der Toten aus dem Gesetz Mosis – bewiesen von R. Jehuda Lebh, Deputierter und Judenältester zu Alt-Strelitz im Herzogtum Mecklenburg-Strelitz und auf Verlangen aus der hebräischen Handschrift ins Deutsche übersetzt. – Bützow, 1766.“ – Zitate hier auf S. 46 u. … Zu ergänzen wäre aus dem „Projekt Juden in Mecklenburg“: Jehuda Lebh war spätestens Rabbiner und Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Strelitz. 1780 wurde er als Rabbiner nach Stockholm berufen, er wurde Oberrabbiner von Stockholm und auf königliche Order auch gleichzeitig der Ober-rabbiner des Königreichs Schweden.
  • [9] Der Formulierung „hier“ ist zu entnehmen, dass auch der genannte Marcus Moses sein Doktorstudium an der Herzoglich-Mecklenburgischen Friedrichs-Universität in Bützow abgelegt hat. Seine Medizin-Promotion in Bützow ist maßgeblich von Tychsen unterstützt worden, sie war überhaupt die erste Promotion eines Juden an der Bützower Universität. Das Thema der in lateinischer Sprache verfassten Dissertation lautet in der deutschen Übersetzung: “Das von Ebraeo beschriebene hebräisch-samaritanische Pentateuch-Modell“. Letztlich geht es darin um die Frage, welche der jüdischen Gesetze, die in den funf Büchern Moses enthalten sind, stammen direkt von Moses bzw. welche sind wesentlich älter oder auch jünger, Im Nachlass von Tychsen befindet sich eine ganze Reihe von Exemplaren aus dem Briefwechsel zwischen Tychsen und Marcus Moses, darunter dessen offensichtliches Dankschreiben an Tychsen (in Hebräisch) nach seiner Disputation 1766.
  • [10] Tychsen, O. G.: In seinem Vorwort der Schrift „Die Auferstehung der Toten von Jehuda Lebh, S. 3 f. - Tychsen benutzt hier den Begriff „Parnas“ im Sinne des „Gemeindeältesten“, meint aber wohl die Funktion des Vorstehers, wahrscheinlich nahm Jehuda Lebh auch beide Aufgaben wahr. Zu ergänzen wäre aus dem „Projekt Juden in Mecklenburg“: Um 1763 war Jehuda Lebh Rabbiner und Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Alt-Strelitz und wurde 1780 zunächst Rabbiner, dann Oberrabbiner in Stockholm/ Schweden und damit gleichzeitig der Oberrabbiner für das schwedische Königreich.
  • [11] Talles oder Tallit ist ein mit 613 Fransen versehener ritueller Gebetsmantel.
  • [12] Nebenstunden, T. 5: 1769, S. 82 f.
  • [13] Nebenstunden, T. 6: 1769, S. 85. Hierzu eine kurze Erläuterung: Die zumeist nur als Kürzel geschriebene Bezeichnung „R.“ steht für Lehrer, besonders für einen religiösen Lehrer bzw. Meister, also für einem im jüdischen Glauben und Recht gebildeten und anerkannten Menschen; die Auflösung des Kürzels führt zum Begriff des „Rabbi“ bzw. des „Reb“. – Der Begriff „Rabbiner“ bezieht sich auf einen Geistlichen, der von einer jüdischen Gemeinde als ihr religiöser Führer gewählt wird. Die Begriffe „Rabbiner“ und „Rabbi“ sind nicht deckungsgleich, obwohl ein Rabbiner immer auch eine religiös gelehrte Person ist. – „Raf“ ist ein Synonym für „Rabbiner“. - „Schabs Zwi“ bezieht sich auf den Sabbat, den Ruhetag, in diesem Fall auf einen Menschen, der gegen die Sabbatregeln verstößt.
  • [14] Angeführt bei: Małgorzata Anna Maksymiak: Korrespondenz – Macht – Verflechtung. – Oluf Gerhard Tychsen und seine Sammlung von jiddischen und hebräischen Privatbriefen. – In: Rostocker Studien zur Universitäts-geschichte, Bd. 28. – 2014, S. 75
  • [15] Michael Busch: Oluf Gerhard Tychsen und die Erweiterung der Staatsbürgerrechte der Juden von 1813 in Mecklenburg. – In: Der Rostocker Gelehrte Oluf Gerhard Tychsen (1734-1815) und seine internationalen Netzwerke. – 2019, S. 201.
  • [16] Anonymus: Über Aufnahme und Concessionierung der fremden und einheimischen Juden, in rechtlicher und staatswirtschaftlicher Hinsicht, mit besonderer Beziehung auf Mecklenburg-Strelitz. – Berlin 1802. – Zitate daraus angeführt bei Busch, Michael, a. a. O., S. 105 ff.